Eine Umfrage ist nicht verkehrt, aber über eines sollte man sich schon im Klaren sein. Mullion hat ja die Kälteschutzzertifizierung nicht vorgenommen, weil diese Geld kostet. 10000€ hört sich zwar nicht viel an, aber der europäische Markt (und nur hier wäre die Zertifizierung nach ISO 15027 gültig) ist ja auch nicht riesig. Die von blonder Hans ins Spiel gebrachte Summe von 10€ stimmen meinem Gefühl nach und um diese Summe müßten vermutlich dann auch die Preise erhöht werden. Die Umfrage muß also sinngemäß so lauten: "Wer wäre bereit eine Preiserhöhung um 10€ in Kauf zu nehmen, wenn der Anzug dann zertifiziert ist."
Der sicher wichtige Blick auf die Normen, darf aber kein Selbstläufer werden und den Blick auf die Wirklichkeit jenseits der Normen verstellen.
Beispielweise das angedeutete Problem mit der Qualität der Fladenanzüge, seitdem diese in China produziert werden. Getestet und zertifiziert wird das Baumuster. Wenn dann die Produktion qualitätsmäßig so schlecht organisiert wird, möglicherweise es nicht mal eine Qualitätskontrolle gibt, dann nutzt die Zertifizierung rein gar nichts. Und rechtlich ist hier auch wenig zu machen, weil ja bei PSA der Kategorie 2 gesetzlich keine Qualitätskontrolle vorgeschrieben ist.
Oder anders ausgedrückt, neben der Norm sind die Begleitumstände der Produktion genauso wichtig. Mullion produziert in Europa, die Qualitätskontrolle scheint zu funktionieren, denn von Qualitätsproblemen hört man selten. Nicht unwichtig ist auch, womit sich die produzierende Firma überhaupt beschäftigt. Mullion ist auf industrielle Schutzkleidung spezialisiert, die nach der weltweit gültigen Solas Normen auch zu zertifizieren ist. Das die "Freizeitanzüge" dann von diesem Know How profitieren, ist wohl evident. Abu Garcia ist ein Angelgeräte Hersteller. Wenn dieser dann auch noch Kälteschutzanzüge produzieren will - was ja mit seinem Kern Know How aber rein gar nichts zu tun hat - dann wäre ich persönlich zunächst bis zum Beweis des Gegenteils erstmal skeptisch.
Auch das gesetzliche Normungswerk selber ist zum Teil völlig unsinnig. Es ist völlig kontraproduktiv, daß Floater überhaupt nach EN393 zertifiziert werden. Die EN393 normt lediglich eine Schwimmhilfe für küstennahe und ruhige Gewässer. Die 50N Auftriebskraft, die diese Norm vorschreibt, reicht zum Überleben in rauher See nicht, weil nicht ohnmachtssicher. Den Floater kann man genauso gut weglassen, wenn man dazu keine 275N Schwimmweste trägt.
Und wieso 275N, und warum reichen nicht die 150N, die bei normaler Kleidung für Ohnmachtssicherheit ausreichen? Eben weil der Anzug einen eigenen Auftrieb besitzt, der dem Auftrieb der Schwimmweste entgegenarbeitet. Es wäre also eigentlich viel besser, wenn der Anzug selbst gar keinen Auftrieb hätte. Man sieht daran deutlich, daß ein Floater - wenn er denn etwas nutzen soll - unter der Rubrik Schwimmhilfe normungsmäßig völlig falsch angesiedelt ist. Was hingegen normungsmäßig völlig fehlt ist die Kategorie "Freizeitkälteschutzanzug". Bei dessen Definition müßten die Kälteschutzfunktionen im Mittelpunkt stehen und der Eigenauftrieb des Anzuges - der konstruktiv nicht zu vermeiden ist - müßte vielmehr auf einen Maximalwert begrenzt werden, damit die Schwimmweste in ihrer Funktion nicht wesentlich behindert wird.
Angesichts dieser Tatsache erscheint es um so lächerlicher, wenn einige Hersteller z.B. Sunridge damit werben, daß die Norm EN393 um so und soviel Prozent übererfüllt wird. Das ist eher ein Grund den Anzug nicht zu nehmen.
Nochmal zur Schwimmweste. Vor die Wahl gestellt, ob ich einen Kälteschutzanzug mit 50N ODER eine Schwimmweste mit 275N verwende, würde ich mich immer für die Schwimmweste entscheiden. Denn erstens sorgt sie dafür, daß mein Oberkörper und Kopf soweit aus dem Wasser ragt, daß ich im Falle einer Ohnmacht - und das ist als Reaktion auf eine Berührung mit Wasser unter 12 Grad Temperatur sehr häufig - kein Wasser schlucke und ertrinke. Und zweitens bewirkt sie dadurch gleichzeitig ein ganzes Stück Kälteschutz, weil über Oberkörper und Kopf bei Berührung mit Wasser die meiste Wärme abgeführt wird.
Die Schwimmweste ist also wichtiger als der Anzug.
Wir sollten dies alles bei der Diskussionen über Normen nicht vergessen.
Gruß Dieter