Wen es genauer interessiert, wie die verschiedenen Normen zusammenhängen und warum die Firma Mullion sich bisher nicht genötigt sah, eine Zertifizierung nach DIN 15027 vorzunehmen, hier einige Hintergrundinformationen, die ich vor einem Jahr im Nachbarforum schon mal veröffentlicht hatte:
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Annex II, Solas, LSA-Code, EN393 ...
Wer blickt noch durch?
Durchzublicken ist aber wichtig, weil über all diese Regularien Qualitätsmerkmale von Schutzausrüstungen definiert werden.
Am Anfang der Kette steht die IMO (International Maritime Organisation) eine Organisation der UNO, deren Aufgabe es ist, verbindliche Richtlinien für die Sicherheit auf See vorzugeben.
Diese Richtlinien unser Diskussionsthema betreffend sind in der SOLAS (Safety of Life at Sea) zusammengefaßt. In dieser Richtlinie geht es um alles mögliche. Die persönlichen Schutzanzüge werden in Capter II abgehandelt und dieses Kapitel verweist auf die technischen Spezifikationen des sogenannten LSA-Codes (Life Saving Appliance).
Hier wird für Überlebensanzüge folgendes definiert:
Der Anzug muß solche thermische Isolation bieten, daß in 0 bis 2° kaltem Wasser, die Körpertemperatur innnerhalb von 6 Stunden nicht um mehr als 2° absinken darf. Außerdem muß ein solcher Anzug dem Träger gestatten, ohne Mühe eine Leiter von 5m hinauf und hinab zu steigen. Das sagt etwas über die Beweglichkeit des Anzuges aus. Die Kälteschutzanforderungen entsprechen der der ISO 15027 Schutzklasse A.
Die MED (Marine Equipment Directive) hingegen bietet nicht neues. Sie ist schlicht die Regelung mit der die EU-Kommission die Solas verbindlich für alle Mitgliedsstaaten der EU vorschreibt. Nationale Regelungen mußten daraufhin entsprechend angepaßt werden.
Persönliche Schutzausrüstungen gehen natürlich weit über die maritimen Schutzausrüstungen hinaus. Dieser Bereich wird nun mit der Richtlinie 89/686/EWG verbindlich für alle Mitgliedsstaaten geregelt.
Diese Richtlinie unterteilt die PSA in drei Kategorien. Die erste Kategorie umfaßt einfache Schutzausrüstungen, wie Regenkleidung. Die mittlere Kategorie umfaßt nicht komplizierte PSA, in diese Kategorie fallen die Rettungswesten und Floater. Die letzte Kategorie werden durch die komplizierten PSA, von denen das Leben des Trägers unmittelbar abhängt, gebildet, z.B. Taucherausrüstungen oder Fallschirme.
Für die 2. und 3. Kategorie ist eine Überprüfung durch eine neutrale Institution, eine Zertifizierung also, vorgeschrieben. Für die dritte Kategorie muß auch der Produktionsprozess selbst zertifiziert sein, nämlich dahingehend, daß sichergestellt ist, daß jedes Exemplar dem Baumuster (welches getestet wurde) in allen wesentlichen Eigenschaften gleicht.
Alle diese PSA müssen die grundlegenden technischen Vorgaben des Annex II der Richtlinie erfüllen. Diese Grundlage war damals notwendig, weil es zahlreiche auch sehr verschiedene nationale Normen gab. Gleichzeitig legt die 89/686/EWG fest, daß nach und nach durch die CEN (europäischer Normungsausschuß) sogenannte harmonisierte europaweit verbindliche Normen geschaffen werden, die nicht im Widerspruch zum Annex II stehen dürfen, diesen jedoch konkretisieren. Solche Normen sind die EN393 und die ISO 15027, die es aber erst seit 2002 gibt.
In diesem Normungswirrwar haben die Floater, die ja eine neuere Erscheinung darstellen, noch nicht den ihnen gemäßen Platz gefunden. Als Freizeitanzüge fallen sie nicht unter den Solas bzw. den MED Bereich. Sie fallen deshalb unter die 89/686 und den Annex II. Ursprünglich waren sie lediglich als Schwimmhilfen gedacht und der Annex II. Kapitel 3.4.1 sieht für Schwimmhilfen Kälteschutzeigenschaften nicht zwingend vor.
Es ist deshalb auch völlig legal Floater ausschleißlich nach EN393 zu zertifizieren.
Allerdings ist es ganz und gar nicht legal, zusätzlich dann irgendwelche Kälteschutzeigenschaften zu versprechen, weil es seit 2002 die ISO 15027 gibt, die hier klare Vorgaben macht. In dem Fall muß die Kälteschutzeigenschaft an ISO 15027 gemessen und zusätzlich zertifiziert werden.
Die Aussage von Thomas Schlageter, daß die Zertifizierung der Mullion Floater nach Annex II höherwertiger sei, ist rechtlich Nonsense und sachlich auch nicht überzeugend, weil die Vorgaben des Annex II in Bezug auf Kälteschutz sehr allgemein gehalten sind und zudem mehr auf Anzüge für Kühlhäuser abzielen.
Was die Firma Mullion angeht, so hat diese Ihren Schwerpunkt im industriellen und maritimen Bereich. Hier spielt die ISO 15027 keine Rolle sondern die Anzüge werden vorzugsweise nach Solas und LSA-Code zertifiziert.
Die "Freizeitanzüge" sind nun sinnvollerweise von diesen Industrieanzügen abgeleitet, sie stellen keine Eigenentwicklung dar. Das "Abspecken" bezieht sich auf das Weglassen von z.B. Neophrenschuhen und ähnliches. Möglicherweise ist auch die Außenschale aus PVC nicht so strapazierfähig, wie bei den Industrieversionen. Der prinzipielle Aufbau und die verwendeten Materialen sind jedoch dieselben. Eine Erfüllung, ja Übererfüllung gemessen an den Vorgaben der Norm ISO 15027 liegt für mich daher ohne Zweifel vor. Jedoch eine Zertifizierung nicht, daß ist mittlerweile klar. Höchst bedauerlich für Mullion, denn sie darf nun mit den tatsächlich vorhandenen Kälteschutzangaben nicht werben.
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Gruß Dieter