AW: Carbon Bremsscheiben fetten!
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Und was zum Teufel ist Anlaufmoment, oder der Start Up Effekt?
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Nun, wenn man diese Frage wirklich gründlich beantworten will, wird es schnell ziemlich kompliziert.
Zunächst, jeder kennt denn Unterschied zwischen Haft- und Gleitreibung. Beispielweise beim Schlitten. Beim stehenden Schlitten spricht man von Haftreibung. Um den Schlitten in Bewegung zu bringen braucht es eine deutlich größere Kraft, als ihn danach bewegt zu halten. Ist er erst mal in Bewegung, spricht man von Gleitreibung. Die Gleitreibung ist immer kleiner als die Haftreibung. Umgekehrt verhält es sich mit den Kräften. Wird z.B. die Kraft von 15 Kp benötigt um den Schlitten in Bewegung zu setzen, reichen dann 10 Kp um ihn in Bewegung zu halten. Wie groß der Unterschied zwischen Gleitreibung und Haftreibung ist, hängt nur von den beteiligten Materialien ab. Das Ganze läßt sich eins zu eins auf die Bremse einer Angelrolle übertragen und ist nichts wirklich Neues.
Was aber hat das für Konsequenzen fürs Angeln?
Einmal resultiert daraus das berühmte Ruckeln der Bremse. Denn der Übergang zwischen Gleitreibung und Haftreibung ist kein plötzlicher sondern ein gleitender. Sinkt die Geschwindigkeit des fliehenden Fisches unter einen bestimmten Punkt, wird auf einmal die benötigte Kraft größer. Es gibt einen Ruck. Beschleunigt er darauf hin, wird wieder weniger Kraft benötigt. Diese sich dauernd abwechselnde Größe der Kraft führt dann leicht zum Ausschlitzen.
Noch übler sind die Folgen, wenn man dies in Zusammenhang mit der sehr geringen Dehnung multifiler Schnüre betrachtet. Gehen wir dazu von einer auf 5Kg eingestellten Bremse aus. Dies entspräche der Kraft die zur Gleitreibung gehört. Hingegen würden 8Kg benötigt, um die Bremse überhaupt ansprechen zu lassen. Die Schnur habe eine lineare Tragkraft von 13 Kg und eine Dehnung von 1%. Dies bedeutet, daß die Schnur um 1% länger geworden ist, wenn die einwirkende Kraft so groß wie die lineare Tragkraft geworden ist, also unmittelbar bevor sie reißt. Ist die Kraft nur halb so groß, dann beträgt die Dehnung auch nur die Hälfte, also 0,5%. Die Schnur wirkt also wie eine Feder. Sind 100m draußen, ist die Schnur bei 13Kg Zugkraft gerade mal 101m lang geworden.
Was passiert nun im anglerischen Worst Case, wo der Fisch mit voller Geschwindigkeit in die sich straffende Schnur schwimmen kann. Nehmen wir dazu an, daß diese Geschwindigkeit 50 km/h oder rund 14m/sec betrage. Der Fisch wiege 20Kg.
Die Schnur strafft sich. Auf Grund der Geschwindigkeit des Fisches beträgt die Zeit zur Verlängerung der Schnur auf 101m, dem Reißpunkt, nur ca. 70 Millisekunden (mal vernachlässigt, daß der Fisch durch die einwirkende Kraft der Schnur in der Zeit etwas langsamer wird. Auf Grund der hohen Masse des Fisches, 20Kg, aber statthaft). Bis die Kraft 100m weiter an der Bremse auf 8Kg angestiegen ist, rührt sich die Bremse nicht. Die Zeit, die bis dahin verstreicht, beträgt ca. 8/13*70 = 43 Millisekunden. Es verbleiben also nur noch lediglich 27 Millisekunden um die Spule der Rolle auf die Geschwindigkeit des Fisches zu beschleunigen und so die Gefahr des Schnurbruchs zu verhindern. Das ist nicht viel Zeit. Die Zeit ist umso kürzer, je höher der Wert der Anlaufkraft im Verhältnis zur Tragkraft der Schnur ist.
Bis jetzt war das im wesentlichen erst eine statische Betrachtung der Verhältnisse. Tatsächlich breitet sich die Kraft in der Schnur mit endlicher Geschwindigkeit aus, nämlich mit der Schallgeschwindigkeit für dieses Medium. Der Wert ist deutlich höher als in der Luft und beträgt grob geschätzt etwa 2000m/sec. Während der Zeit, in der nun die Geschwindigkeit der Rollenspule noch nicht die Geschwindigkeit des Fisches erreicht hat, wird der Kraftstoß an der Rolle reflektiert und bewegt sich wiederum in Richtung Fisch, wo er wiederum in Richtung Rolle reflektiert wird. Die Kräfte überlagern sich dabei. Entlang der Schnur wird es deshalb Orte geben, an der die Krafte sich subtrahieren, aber auch Orte wo sie sich addieren. Die Verhältnisse werden also etwas undurchsichtig, jedenfalls kann es zu Situationen kommen, wo die lokalen Kräfte irgendwo mitten auf der Schnur die Tragkraft übersteigt und die Schnur reißt.
Das entspricht exakt den Verhältnissen in dem Experiment, das hier schon des öfteren beschrieben wurde. Man nehme eine multifile Schnur wickele sie in einigem Abstand jeweils um die Hände und werfe die Hände mit Kraft auseinander. Die Schnur, wird irgendwo in der Mitte reißen, ohne daß die Kraft an den Händen so groß wird, daß es dort schmerzt. Auch das kann man nur durch die eben beschriebene Dynamik erklären.
Bremse, Schnur und Vorfach bilden eine Einheit, deren Parameter so aufeinander abgestimmt sein sollten, daß Schnurbrüche, Ausschlitzen oder ähnliches möglichst vermieden wird.
Dazu gehört unter anderem eine fein ansprechende Bremse. Je geringer die Kraft zur Überwindung der Haftreibung sich von der der Gleitreibung unterscheidet, desto günstiger. Hier bewirkt das Fetten der Bremse Wunder. Aber auch ein Vorfach aus monofiler Schnur mit möglichst viel Dehnung ist ein eben solch günstiger Parameter. Ebenso ist es günstig, die Bremskraft erst während des Drills zu erhöhen und vorher mit einer kleineren Bremskraft zu arbeiten, also Bremshebel zwischen free und strike. Beim Anhieb dann die Spule mit dem Daumen zusätzlich bremsen.
Ist jetzt leider etwas länglich geworden, aber kürzer hab ich es nicht hingekriegt, die Materie ist auch nicht simpel.
Gruß Dieter