"Angler sind doch wirklich doof......."
sagt mein Papa noch zu mir.
Dann beginnt er damit, die Koffer aus unserem alten, blauen Mercedes herauszuheben und in die kleine, warme Hotelhalle zu tragen.....
Es ist das Jahr 1978, genauer gesagt der 1.September 1978.
Ich bin gerade 7 1/2 Jahre alt und es sind meine allererster Ferien die ich nicht zu Hause verbringe.
Nicht zu Hause in Karlsruhe, nicht bei meinen Freunden, nicht an unserem kleinen Flüsschen, der Alb.
Seit ich denken und laufen kann zieht es mich immer wieder, wie von einer unsichtbaren Hand geführt, an die Ufer dieses gemächlich fließenden Wassers.
Ich bin immer furchtbar aufgeregt wenn ich mich vorsichtig nähere.
Ist einer da? Hoffentlich ist einer da! Einer der alten Männer mit der Angel in der Hand und dem umgehängten Weidenkorb.
Schon oft habe ich einen von ihnen begleitet, Minute um Minute, Stunde um Stunde, stumm, viel zu schüchtern und mit viel zuviel Respekt um irgendwelche Fragen zu stellen und damit die Ruhe zu stören.
Und wie oft stand ich aufgeregt daneben wenn dann ein Fisch gebissen hatte.
Aber wie gerne hätte ich doch auch einmal die sicher sehr teure Angel in den Händen gehalten, wie gerne hätte ich auch einmal einen der starken Fische gespürt........
"Komm endlich herein, du wirst dich sonst noch erkälten..."
Die Stimme meines Vaters holt mich aus meinen Gedanken.
Es ist grau und bitterkalt, es regnet, es stürmt hier am Walchensee in Oberbayern.
Und trotzdem sind sie da, mitten auf dem See, die Boote, die Angler....
Spät abends, in dem gemütlichen Hotel ist schon lange Ruhe eingekehrt, sitze
ich dann auf dem schmalen Fensterbrett meines kleinen Zimmers.
Ich kann nicht schlafen, sehe hinaus in die Nacht.
Direkt auf den dunklen ,inzwischen viel ruhiger gewordenen See.
Nur der Regen prasselt noch gegen die Scheibe, ansonsten ist es still.
Unten auf dem Parkplatz sind trotz der späten Stunde plötzlich Stimmen zu hören, mehrere Männer kommen lachend und leise singend näher.
Als sie um die Hausecke in den Lichtschein der Straßenlaterne eintreten erstarre ich für einen kurzen Moment.
Jeder der grün gekleideten Männer hat eine lange Rute in der Hand, und einer hat außerdem etwas großes, silbernes, Glänzendes in der anderen Hand.
Einen Fisch, bestimmt einen Fisch. Ich bin mir sicher das das ein Fisch sein MUSS !
Aber einen so großen Fisch hatte ich doch zuvor noch nie gesehen.
Können Fische überhaupt so groß werden?
Ich bin aufgeregt, ich muss diesen Fisch sehen, jetzt, sofort, egal wie.....
Ich schleiche mich leise, ganz leise aus dem Zimmer, vorbei an meinen schlafenden Eltern.
Ich halte sogar die Luft an, nur um keine unnötigen Geräusche zu machen.
In dem schwach erleuchteten Flur taste ich mich an der Wand entlang in Richtung der schmalen Treppe die in die Gaststube hinunterführt.
Schnell laufe ich hinunter, in die Halle, zur Eingangstür.
Kurz bevor ich dort ankomme öffnet diese sich plötzlich und ich stehe einem sehr großen, bärtigen Mann gegenüber.
Er trägt einen weiten grünen Umhang, Gummistiefel und einen breiten Schlapphut von dem das Wasser in kleinen Bächen herunterfließt.
Dort wo er in der Tür steht hat sich schon eine kleine Pfütze gebildet.
Zuerst sieht er mich einerseits erschrocken, andererseits aber doch fragend an.
Als er meinen Blick bemerkt ist ihm dann aber alles klar geworden.
Mein Blick klebt an dem starken Fisch.
Wie Eisenspäne die an einem starken Magneten kleben.
Ich wage es immer noch nicht zu atmen, zu sprechen,die Augen von dem Fisch zu wenden.
Für einen endlos scheinenden Moment herrscht Stille zwischen uns.
„Ja, wenn der liebe Gott wirklich gute Laune hat, und nur dann, dann schenkt er uns so einen herrlichen Fisch….Das ist eine Seeforelle, eine wahre Königin des Sees…“
Er hat mit mir gesprochen….ja mit mir…
Ich bin so überrascht.
Ich bin so aufgeregt.
Was soll ich denn nun bloß antworten?
Mir fällt in diesem Moment doch tatsächlich nichts besseres ein als
„Angler sind doch wirklich doof….sagt mein Papa…“ und als ich seinen Blick bemerke und merke was ich da eben gesagt habe füge ich noch eilig hinzu „aber ich finde Angeln trotzdem schön…..“
„Aha…der Papa hat das also gesagt?
Also das Angler doof sind?
Und du findest das nicht, obwohl dein Papa das so sagt?
Hast du denn schon mal geangelt?“
„Nein, habe ich nicht….aber schon ganz oft dabei zugesehen.
Und ich glaube das Angeln nicht doof ist sondern schön…..“
Er scheint nun doch überrascht zu sein.
Von dem kleinen, blassen Stadtjungen der da mit ihm mitten in der Nacht in der Hotelhalle
steht und seine eigene Meinung gegenüber einem fremden Erwachsenen vertritt.
Der einfach nur dasteht und mit ungläubigen Augen immer noch den großen Fisch bewundert…
„Ich denke es ist besser wenn du nun erst einmal zu Bett gehst.
Es ist schon sehr spät und es ist nicht gut wenn deine Eltern aufwachen, du nicht im Bett bist und sie sich Sorgen machen….“
„Aber…“
„Kein *aber* junger Mann, morgen ist auch noch ein Tag, dann sprechen wir noch einmal miteinander. So wie es sich gehört…..von Angler zu Angler. Und nun Marsch….ins Bett“.
Da er das *Marsch* in einem etwas schärferen Ton anklingen lässt bin ich lieber gehorsam und schleiche mich zurück in mein Zimmer.
Meine Eltern schlafen tief und fest und haben von meinem Ausflug wohl nichts bemerkt.
Ich bin müde und gehe wirklich gleich zu Bett, ziehe mir die Decke über den Kopf und schlafe sofort tief ein.
In meinem Traum sehe ich den großen Fisch, den alten bärtigen Mann mit dem Schlapphut, wieder den Fisch.
Ich wache erst auf als die Sonne bereits durch das Fenster scheint, sehr lange habe ich geschlafen.
Noch bevor ich mich anziehe will ich auf den kleinen Balkon der zu meinem Zimmer gehört..
Ich will nach den Booten Ausschau halten. Ob sie heute wieder draußen sind?
Noch bevor ich aber dazu komme höre ich schon meinen Vater rufen.
„Anziehen und runterkommen, sofort“
Au weia…das klingt aber nicht besonders erfreut.
Ich beeile mich also, ziehe mich schnell an und renne die Treppe hinunter.
Kaum unten angekommen sehe ich schon den Mann von gestern Nacht und meine Eltern
zusammenstehen.
Als ich mich nähere verstummen plötzlich alle Erwachsenen und sehen mich fragend an.
Dann die ernste Frage meines Vaters:„Du hast also heute Nacht einen heimlichen Ausflug gemacht?“
Ein ziemlich kleinlautes „Ja Papa…..“ist meine vorsichtige Antwort.
Woher weiß er das bloß?
„Und du hast wirklich erzählt dass ich Angler für doof halte?“
„Ja, du hast gesagt die baden tagelang ihre Würmer und erzählen dabei Latein…“
Au weh, das weiß er also auch…
Meinem Vater ist meine Ehrlichkeit nun wohl doch sichtlich peinlich und er zieht die Stirn in tiefe Falten.
Der alte Mann kann sich nun ein schmunzeln offensichtlich nicht mehr verkneifen und sagt:
“ Seeforellen fängt man aber eigentlich nicht mit Würmern, und Latein sprechen sie schon gar nicht.
Möchtest du denn heute nicht mal mit zum Angeln kommen und dir dann deine ganz eigene Meinung bilden?
Deine Eltern haben schon gesagt das das für sie schon in Ordnung wäre……“
Was? Wie war das? Ich soll… ich DARF mit zum Angeln? Gleich heute?
„Ja, natürlich will ich mit, wann fahren wir los? Gleich?“
„Natürlich, wir sind eh schon sehr spät dran. Die anderen Angler sind schon seit 2 Stunden
draußen auf dem See…“
Der alte nimmt mich an der Hand,
meine Eltern begleiten uns noch den kurzen Weg hinunter zum Ufer wo schon sein kleines Boot mit den Angeln am Steg bereitsteht.
„Also, dann ist ja alles geklärt, wir sind heute Nachmittag rechtzeitig zum essen
wieder da“ ruft er meinen Eltern noch zu, dann legen wir ab.
Die beiden winken noch kurz, dann drehen sie sich auch schon um und gehen zurück zum Hotel.
Mit langen, kräftigen schlägen rudert der alte zügig hinaus auf den See während ich auf der Rückbank sitze und ihm dabei zusehe.
Immer noch tanzen vereinzelte Nebelschwaden über das glasklare Wasser, aber der stahlblaue Himmel verheißt wohl gutes, warmes und sonniges Wetter.
Der alte pfeift ein Lied, ich sehe das einfach als gutes Zeichen.
Immer wieder sehe ich auch kleine und größere Ringe auf der Wasseroberfläche und als
Alfons (er hatte sich so meinen Eltern vorgestellt) meinen fragenden Blick sieht antwortete er kurz und knapp „nur kleine Fische, nicht das was wir wollen….“
Nach einer kleinen Ewigkeit stoppen wir und die Ruder werden auf der Bootswand
abgelegt.
Alfons nimmt nun eine der beiden dicken Ruten und knotet ein großes Stück silbernes Blech mit einem Haken an die Schnur.
Dann holt er aus und wirft so weit er kann hinter das Boot. Mit der anderen Rute verfährt er fast genauso, hier knotet er aber ein großes Stück Kupfer an die Schnur.
Wieder holt er aus, wieder fliegt das Blechstück weit hinter uns in den See.
Aber kann man denn mit Blech überhaupt Fische fangen? Würmer erscheinen mir da
offen gestanden besser. Oder sind Angler vielleicht doch nur Spinner so wie Papa das behauptet?
„Glaubst du denn das wir mit den Schuhlöffeln wirklich Fische fangen?“
Alfons prustet bei dieser Frage von mir unwillkürlich los.
„Bub, das sind doch keine Schuhlöffel…also nicht mehr.
Die heißen Blinker und ja, damit werden wir Fische fangen. Warte nur ab und pass gut auf die Ruten auf.“
Er taucht die Ruder nun wieder ins Wasser, langsam und gleichmäßig nehmen wir fahrt auf.
Die spitzen der Angeln bewegen sich nun bei jedem Ruderschlag wippend nach unten.
Offensichtlich bewegen sich die Schuhlöffel unter Wasser und verursachen dieses gleichförmige Ruckeln und Zuckeln.
Wir rudern nun schon eine ganze Weile, schweigend und ohne das sich an den Bewegungen der Angeln irgend etwas verändert hätte.
Alfons macht hin und wieder ein, zwei schnellere Schläge mit den Rudern „um die Fische zu überreden..“ wie er behauptet…
Wir sind schon fast am gegenüberliegenden Ufer angekommen, dort drüben mündet ein kleiner Bach in den See.
„Einer der besten Plätze für große Forellen im See, die von gestern stammt auch von da“ berichtet Alfons.
Wir fahren ein paar mal durch den bereich in dem sich das Seewasser und das Wasser des kleinen Flüsschens vermischen, aber es passiert nichts.
Irgendwie glaube ich immer noch nicht das wir mit den Blinkern etwas fangen werden…
Wir fahren die Strecke wieder und wieder ab, ohne erfolg.
Da es schon fast Mittag ist rudert Alfons weiter auf den See hinaus.
Dann stoppen wir mitten auf dem weitläufigen See und machen bei inzwischen herrlichem Sonnenschein eine Brotzeit.
„War wohl an der Zeit, dein Magen hat schon ziemlich laut geknurrt. Wahrscheinlich hat das die Fische erschreckt “.
Komisch, das hatte ich selbst vor lauter Aufregung gar nicht bemerkt…..
„Nach dem Essen fahren wir an einen Platz, den hat mir einmal mein Vater gezeigt.
Dort fangen wir bestimmt Fische, denn außer mir kennen den nur noch ein paar ganz alte
Angler aus dem Ort…“
Alfons holt die beiden dicken Ruten ein und wir brauchen gar nicht lange zu Rudern bis wir an der besagten Stelle sind.
Er gibt mir nun eine kleinere Angel in die Hand, uuuhhh…schon wieder ein Blinker, nur kleiner und schmaler als die an den anderen Angeln.
Bestimmt fangen wir damit auch nix, Fische sind doch bestimmt nicht doof……
„Du musst den Blinker so lange runterlassen bis er auf dem Grund ist.
Dann machst du die Rolle zu und zupfst drei-viermal.
Dann ein-zwei Meter einkurbeln und wieder zupfen.
Nach dem 5 mal lässt du ihn dann wieder ganz runter und beginnst ganz von vorne.“
Trotz meiner Überzeugung das Würmer doch besser wären, lasse ich das Blechstück
in die Tiefe sinken.
Langsam läuft die Schnur von meiner Rolle während Alfons noch mit einem Knoten
in seiner eigenen Schnur kämpft.
Hmm…mein Blinker scheint nun unten zu sein, denn die Schnur steht.
Also mache ich den Bügel so wie ich es gezeigt bekommen hatte zu und zupfe.
Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei, eins, zwei ,drei ,1 Meter hochkurbeln.
Zupf, zupf, zuuuuuupf … uppssss…Plötzlich geht das aber ganz schön schwer.
Und es zuckt so komisch….“Alfons…ich glaube da ist ein Fisch dran“
„Jaaaaa…das ist Fisch…guck mal wie die Rute sich biegt...das ist ein guter.
Schön langsam und vorsichtig hochdrehen.“
Ein Fisch…MEIN FISCH…MEIN ERSTER FISCH und ich darf ihn alleine hochziehen.
Ich zittere und drehe und drehe und zittere.
Mann was hat der Fisch für eine Kraft.
Immer wieder versucht er in die tiefe zurückzukommen.
Und er hat Ausdauer.
Viel mehr als ich.
Aber ich will ihn fangen, ich will ihn sehen , ich will ihn einfach…
Nach und nach kommt er höher und höher..
„Mach genau so weiter, ich glaube ich kann ihn schon sehen.
Nun ist er gleich da.“
Alfons nimmt schon das große Netz zur Hand.
„Ja, das ist gut so, genau so weitermachen. Er ist müde, wir bekommen ihn.Sicher.“
Diese Worte geben mir Kraft, ich drehe und drehe.
Alfons steht nun leider so das ich das Wasser gar nicht sehen kann, geschweige denn meinen Fisch.
Aber plötzlich platscht es, Alfons macht eine schnelle Bewegung mit dem Arm und hebt dann das Netz in die Höhe. Und da drin zappelt es…..
Er legt es vorsichtig ins Boot und nun sehe ich zum ersten mal MEINEN FISCH.
Er leuchtet über und über in einem sehr warmen Kupferton und hat kleine weiße Flecken auf den oberen Flanken.
„Über 50 cm, ein herrlicher Seesaibling den du da gefangen hast“
Alfons schüttelt mir die zitternde Hand, ich bin immer noch total fasziniert von meinem wunderschönen Fisch und weiß nicht was ich noch sagen soll.
Ich weine vor Freude und Glück.
Meine Arme sind schwer, aber das spüre ich nicht.
Ich weiß schon in diesem Moment das es ganz sicher NICHT der letzte Fisch war den ich in meinem Leben gefangen habe.
Irgendwie war es wohl schon damals meine Bestimmung, Angler zu werden.
Ich glaube mittlerweile das die meisten echten Angler diese Leidenschaft schon lange spüren bevor sie überhaupt einmal einen Fisch gefangen haben
Das ich damals Alfons getroffen habe, war wohl eine sehr glückliche Fügung des Schicksals.
Und obwohl diese Begegnung nun schon fast 30 Jahre zurückliegt denke ich bei jedem
außergewöhnlichen und besonders schönen Fisch den ich fange an die ersten Worte von Alfons, damals in der Nacht im Hotel:
„Ja, wenn der liebe Gott wirklich gute Laune hat, und nur dann, dann schenkt er uns so einen herrlichen Fisch…."
Gewidmet Herrn Alfons Scherrer, der Mann der mir damals meinen ersten eigenen Fisch bescherte und mich somit zu dem leidenschaftlichen Angler machte der ich noch heute bin.
Und der ich auch immer sein werde.
In der Hoffnung das wir noch viele schöne Fische fangen,
Petri Heil !!!