Tiefseekorallen

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Nordlicht
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Nachfolgend ein Artikel der bereits an anderer Stelle veröffentlicht wurde zu den Tiefseeriffen im Trondheimfjord.


Farbenpracht in der Norwegischen Tiefsee
Wer würde in den Tiefen der norwegischen Fjorde prächtige und artenreiche Korallenriffe vermuten? Das nicht nur die Tropen offensichtlich mit solch faszinierenden Unterwassergärten aufwarten können, konnte Sven Gust herausfinden und extrem seltene und faszinierende Aufnahmen von seiner Entdeckungsreise in den Tiefen des größten norwegischen Fjordes mitbringen!

Der Trondheimfjord zeigt sich heute glatt wie ein Spiegel. Es ist warm und sonnig, obwohl die Schatten bereits länger werden. An Backbord jagen wir vorbei an einem Schwarm Möwen, die offensichtlich Beute ausfindig gemacht haben und sich nun wild kreischend und zeternd immer wieder ins Wasser stürzen, um gleich darauf für einen erneute Versuch zu starten. Auch einige Schweinswale beteiligen sich an dem Fest, wobei sie es vermutlich auf die Köhler abgesehen haben dürften, welche die kleinen Heringe aus der Tiefe her bedrängen und an die Oberfläche treiben.
Es ist ein Fressgelage von allen Seiten her und vielleicht werden sich nur wenige der kleinen Fische aus dieser misslichen Situation lebend befreien können, vielleicht wird sogar der ganze Schwarm in wenigen Augenblicken ausgelöscht sein – das ewige Spiel der Natur vom Fressen und Gefressen werden.
Wir haben keine Zeit, um dem spannenden Treiben beizuwohnen und vielleicht auch selbst den einen oder anderen Köhler in guter Küchengröße zu erbeuten. Grund für unsere Eile ist ein geplanter Tauchgang an einem Korallenriff, genauer genommen dem flachsten bekannten Riff dieser Art weltweit!
Es befindet sich im Trondheimfjord in der Nähe der Insel Tautra in rund 40 Metern Tiefe. Es ist die Steinkoralle Lophelia pertusa, welche hier über viele Jahrtausende ein etwa vier Meter hohes und 15 Meter langes Riff gebildet hat. Das Riff ist Lebensrau für zahlreiche sehr spezielle Korallen, Krebse, Schwämme und auch Fische.

Timing ist wichtig, denn nur in den kurzen Gezeitenfestern bei Hoch- und Niedrigwasser – wenn die Wassermassen ihren Weg zuerst verlangsamen, um kurz darauf mit Macht wieder in die entgegen gesetzte Richtung zu pressen – ist ein Tauchgang hier überhaupt möglich.
Auf die Minute genau springen wir mit der etwa 60 Kilogramm schweren Ausrüstung ins Wasser, knapp eine Stunde bleibt uns nun. Dunkelheit umfängt uns und nach einigen Minuten freiem Fall durch das Wasser erblicken wir die hellen Konturen des Riffs und trimmen uns neutral, um nun schwerelos zu werden.
Auch an einem so sonnigen Tag ist es fast völlig schwarz um uns herum. Wir schalten Lampen ein und beginnen zu fotografieren. Etwa eine halbe Stunde können wir am Riff verbringen, bevor wir mit dem langsamen Aufstieg beginnen müssen.
Auf den weißen, zerbrechlichen Strukturen der Steinkoralle (in Norwegen wörtlich übersetzt Glaskoralle genannt) wachsen orange Fächerkorallen, eine rote Koralle der Spezies Paragorgia arborea erweckt unsere Aufmerksamkeit. Ebenso wie das ganze Riff ist auch dieses spezielle Exemplar gewissermaßen berühmt: Sie war bereits in Fernsehdokumentationen von BBC und NDR zu sehen, denn in geringerer Tiefe wurde sie auf der ganzen Welt noch nie entdeckt!
Viele der Arten, die wir hier erblicken können sind so ungewöhnlich, dass es für sie keine umgangssprachlichen Namen gibt oder jedenfalls nicht in der deutschen Sprache. Wir befinden uns in einer fremden Welt, weit ab von der Leben spendenden Sonne. Nur 40 Meter entfernt von unserem Boot und doch in einem anderen Universum.

Normalerweise findet man solche Tiefseeriffe in wenigstens 200 Metern im nördlichen Atlantik und auch Pazifik. Entlang der norwegischen Küste wurden zahlreiche Riffe in den Fjorden entdeckt, aber auch bei der Erschließung von Ölfeldern entlang des Kontinentalschelfs. Viele hundert Tierarten werden mit den Riffen in Verbindung gebracht, dazu zählen beispielsweise auch der Lumb, der Rotbarsch und die Seekatze als gewöhnliche Bewohner.
Schon lange sind die Riffe auch als gute Plätze für den Fischfang bekannt. Schwere Schleppnetze zerstörten komplette Riffe – erwachsen innerhalb vieler tausend Jahre – in wenigen Augenblicken. Weiß man heute, dass Lophelia nur im Schnitt sechs Millimeter im Jahr in den kalten Tiefen wächst, so wird bewusst, was die Zerstörung eines solchen Riffs bedeutet. Ein solcher Schaden kann wohl kaum mit Zahlen beziffert werden!
Noch schlimmer ist die Tatsache, dass Riffe sogar gezielt durch schweres Schleppgeschirr zerstört wurden, um den Boden für die Netz- und Langleinenfischerei zu „säubern“. Glücklicherweise sind heute einige Gebiete wegen dieser Riffe vor der Fischerei geschützt, wie beispielsweise auch im Trondheimfjord – ein Schritt in die richtige Richtung.
Auch wenn das Angeln an den Riffen kaum vergleichbare Zerstörungen anzurichten vermag, so sollte besonders Ankern und der Einsatz von schweren Pilkern und Grundbleien an den bekannten Riffpositionen doch unbedingt unterbleiben, stehen doch die angerichteten Schäden in keiner Relation zu den zu erwartenden Fängen!

Eine Gruppe kleiner Rotbarsche steht träge über dem Riff. Etwa zwanzig Fische dürften es sein und einige mehr verbergen sich zwischen den Korallen darunter. Ein bulliger Lumb lugt neugierig aus seiner Höhle. Weder das grelle Licht, noch die seltsamen Besucher scheinen ihm so richtig zu behagen.
In den Fächerkorallen fischen Korbseesterne, auch Gorgonienhaupt genannt, nach Nahrung und klobige Schwämme und filigrane Röhrenwürmer profitieren von der starken Strömung hier. Auch die Korallen selbst ernähren sich von tierischem Plankton (Zooplankton, hauptsächlich winzige Krebstiere), welches sie mit zahllosen winzigen Fangarmen aus der Strömung fischen.
Furchenkrebse bewachen ihre Wohnhöhlen unter den Korallenstöcken, eine junge Steinkrabbe tänzelt über einen großporigen Schwamm, während ein Einsiedlerkrebs sich lieber flink in ein schützendes Schneckenhaus zurückzieht als er uns erblickt. Hinter der besagten berühmten roten Koralle finde ich einen gewaltigen Taschenkrebs zusammengekauert. Bereits auf den ersten Blick ist die Artenvielfalt hier kaum zu erfassen. Zweifellos sind viele Tauchgänge nötig, um sich ein wenigstens halbwegs vernünftiges Bild dieses Biotops zu machen.

Die Zeit läuft uns gnadenlos davon. Als wir gerade den Aufstieg beginnen wollen, erblicke ich einige Meter vom Riff entfernt einen schlanken hellen Umriss. Zuerst denke ich, es könnte sich um einen Leng handeln, aber der Zweifel siegt und ich beschließe mich zu vergewissern. Eine lohnende Entscheidung, denn es ist eine Seekatze, die da gemächlich aus der Tiefe auf das Riff zugleitet. Diese Chimäre ist ein Tiefseebewohner und verfügt über eine mehr als außergewöhnliche Körperform. Sie schwimmt langsam, lediglich die großen Brustflossen nutzend. Angst scheint sie nicht zu haben und lässt mich dicht an sich heran. Der Fisch dürfte so etwa einen Meter lang sein, wirkt jedoch wesentlich kleiner durch den extrem schlank auslaufenden Schwanz. Diese ungewöhnliche Form sorgte zweifellos auch bei der Namensfindung für sehr ähnlich Assoziationen in vielen verschiedenen Sprachen. Im deutschsprachigen Raum als Seekatze oder Seeratte bekannt nennen die Norweger sie Havmus (Meermaus) und die Briten Ratfish (Rattenfisch).
Schnell einige Fotos gemacht, denn der Aufstieg drängt und bereits kurz darauf beginne ich langsam, Meter für Meter, die Leine zum Boot aufzusteigen. Wenige Meter unter dem Bootsrumpf werden mein Tauchpartner und ich dann noch eine ganze Weile verharren müssen, um die nun in unseren Körper gelösten Gase langsam wieder abzubauen und sicher auftauchen zu können. Selten jedoch hatte ich bei so einem anspruchsvollen Tauchgang solch ein Gefühl, dass es sich wirklich gelohnt hat und nie zuvor habe ich einen so faszinierenden Einblick in die Tiefsee bekommen – den größten und doch am wenigsten erforschten Lebensraum auf unserem Planeten!

Die Sonne scheint noch immer als wir auftauchen. Es ist etwa neun Uhr abends. Wir verstauen unsere Ausrüstung und machen uns auf den Weg zurück nach Trondheim. Kaum kann ich es erwarten, endlich in Ruhe die Fotos vom Riff zu betrachten und noch gespannter bin ich schon jetzt auf den nächsten Tag. Denn dann werden wir nochmals das Kaltwasser-Korallenriff besuchen, in den Tiefen des norwegischen Trondheimfjordes.
 
AW: Tiefseekorallen

Also wir haben maßgeblich an der Doku von Teschefilm für den WDR mitgearbeitet (jedenfalls bei dem Teil der in Norwegen entstanden ist). Sendetermin sollte eigentlich diesen Herbst sein, hab aber keine Ahnung ob der schon war, kommt oder sich verzögert.

Welche Doku meinst du?
Ich kenne noch den Teil aus "Abenteuer Nordsee" und natürlich BBC Blue Planet.

Praktisch alle Aufnahmen die ich bisher gesehen habe sind am Tautra Riff entstanden (Ausgenommen ROV-Aufnahmen).

Gruß Sven
 
AW: Tiefseekorallen

Erst mal Kompliment, die Bilder sind wie so oft der Hammer! :daumen:

In welchen Tiefen sind normalerweise die Seekatzen (Chimären) anzutreffen? Habe mal irgendwo gelesen/gehört, dass es ein absoluter Tiefseefisch sein soll!?

Grüße hermi :]
 
AW: Tiefseekorallen

Welche Doku meinst du?
Ich kenne noch den Teil aus "Abenteuer Nordsee" und natürlich BBC Blue Planet.

Praktisch alle Aufnahmen die ich bisher gesehen habe sind am Tautra Riff entstanden (Ausgenommen ROV-Aufnahmen).

Gruß Sven

Da muß ich erstmal suchen unter meinen vielen gesammelten Dokus

ging schneller als ich dachte, es ist Abenteuer Nordsee 2 - Tauchgang in Norwegens Fjorden :]
 
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AW: Tiefseekorallen

Moin Hermi und Rolli,

Abenteuer Nordsee von Florian Graner zeigt einige der Korallen die auch hier auf den Fotos zu sehen sind. Die Wand mit den dort gezeigten Fächerkorallen befindet sich im Skarnsund. Die Aufnahmen sind schon etwas älter. Die rote Koralle (die auch auf einem der Fotos hier zu sehen ist) ist leider abgestorben und völlig verschwunden ;( warum ist schwer zu sagen.... Erwärmung, unvorsichtige Taucher oder Volltreffer mit Pilker - man wird es nie erfahren. Schade, da es von dieser Art nur zwei in betauchbarer Tiefe gab - weltweit!

Meine flachste Chimärensichtung bisher war auf 9 Metern. Normal sind sie an manchen Ecken im Trondheimfjord nachts auf 30-40 Metern zu finden. Wir tauchen mit ganz schwachem Licht, dann leuchten die Augen grün wie Katzenaugen. Manchmal sieht man sie dann noch fressen (kleine Muscheln). Wenn wir starkes Licht und Blitze einsetzen ist das natürliche Verhalten dann leider vorbei. An den Korallenriffen kann man die Chimären teilweise auch tagsüber sehen - aber man muss dazu schon Glück haben.

Am Skarnsund fangen Angler sie von der Hafenmole aus mit Garnelen als Köder. Der Fisch lässt sich aber wohl nicht verwerten, deshalb sollte man von gezieltem beangeln absehen finde ich.

Greetz Sven
 
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Hier noch ein anderer Bericht aus unserem eigenen Magazin von 2010 zum wissenschaftlichen Namen Chimaera monstrosa.

Fabelwesen aus einer fremden Welt
Die Ungeheuer Echidna und Thypon gebaren die Chímaira. Die Sphinx mit der Gestalt eines geflügelten Löwen und dem Haupt einer Frau, die neunköpfige Wasserschlange Hydra und der mehrköpfige Höllenhund Kerberos waren ihre Geschwister, und gemeinsam verbreiteten sie in Lykien Angst und Leid.
Chímaira hatte die Gestalt eines Löwen, doch aus ihrem Nacken entsprang der Kopf einer Ziege, und der Schwanz dieses feuerspeienden Mischwesens der griechischen Mythologie war eine Schlange. Im mittelnorwegischen Trondheimfjord kann man der Seekatze (Chimaera monstrosa) von September bis Mai an vielen Plätzen begegnen. Sie ist eigentlich ein Tiefseefisch, den man sonst nicht zu Gesicht bekommt. Aber wir haben diesen Fisch bereits in zehn Metern Tiefe bei Nachttauchgängen gesehen und organisieren regelmäßig Touren, um diesem ungewöhnlichen Fabelwesen zu begegnen.
 
AW: Tiefseekorallen

Meine flachste Chimärensichtung bisher war auf 9 Metern. Normal sind sie an manchen Ecken im Trondheimfjord nachts auf 30-40 Metern zu finden. Wir tauchen mit ganz schwachem Licht, dann leuchten die Augen grün wie Katzenaugen. Manchmal sieht man sie dann noch fressen (kleine Muscheln). Wenn wir starkes Licht und Blitze einsetzen ist das natürliche Verhalten dann leider vorbei. An den Korallenriffen kann man die Chimären teilweise auch tagsüber sehen - aber man muss dazu schon Glück haben.

Am Skarnsund fangen Angler sie von der Hafenmole aus mit Garnelen als Köder. Der Fisch lässt sich aber wohl nicht verwerten, deshalb sollte man von gezieltem beangeln absehen finde ich.

Greetz Sven

Danke Sven, wieder was gelernt... :daumen:
 
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