Lebensraum Wrack

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Nordlicht
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www.nord-flatanger.no
Passend zu dem netten Austausch mit André unter "Seeteufel" hier ein Bericht zum Lebensraum Wrack.

Abgewrackt – Von stummen Zeitzeugen, ökologischen Zeitbomben, künstlichen Riffen und Top- Angelspots

Beim Thema Wrack scheiden sich die Geister. Manche denken sofort an ungeahnte Reichtümer, andere an mögliche Umweltprobleme durch austretendes Öl und wieder andere daran, was sich dort unten wohl so tummeln mag. Sven Gust hat zahlreiche Wracks in Nord- und Ostsee besucht und zeigt, dass die rostigen Stahlklumpen oft ein wahres Paradies für Meeresbewohner sind.

Das Unglück

Das Küstenmotorschiff stampft durch das winterliche Skagerrak. Die See geht schwer über das Schiff, und der Zielhafen rückt nur quälend langsam näher. Dieses Seegebiet, welches Nord- und Ostsee verbindet, hat es in sich - das wissen auch die Matrosen. Die Stimmung an Bord ist angespannt.
Es ist kalt, sehr kalt! Die Gischt beginnt die Aufbauten zu vereisen. Zunächst versuchen die Seeleute noch, der Lage Herr zu werden, doch das Schiff krängt immer mehr über. Der Weizen in den Laderäumen verschiebt sich, und bald hat das todgeweihte Schiff starke Schlagseite. Im letzten Moment besetzt die Mannschaft eine Rettungsinsel und verlässt das Schiff, bevor es gänzlich überkentert und langsam von der wütenden See verschlungen wird.
Künstliches Riff
Wenn ein Schiff sinkt, so ist es zunächst einmal verschwunden, jedenfalls für uns! Die möglicherweise damit verbundene Tragödie beschäftigt die Menschen vielleicht eine Weile, aber in den allermeisten Fällen gerät das Wrack schnell in Vergessenheit. Fische und andere Meeresbewohner hingegen entdecken einen solchen Stahlkoloss mit seinen unzähligen Versteckmöglichkeiten gewöhnlich recht schnell. Manchen gefällt es dort so gut, dass sie für immer dort bleiben.
Die Larven von Muscheln, Anemonen, Korallen und anderen Meeresbewohnern werden von der Strömung am Wrack vorbeigetragen und finden hier geeigneten Untergrund zum Siedeln. Gleichzeitig beziehen Dorsch, Leng und Seewolf in den Innenräumen ihr neues Zuhause.
Wie ein Wrack bewohnt und besiedelt wird, hängt natürlich maßgeblich von verschiedenen Faktoren wie Tiefe, Region und Lage des Wracks ab. Liegt das Wrack sehr tief, so benötigt das karge Leben in der Tiefsee ungleich länger, um das neue Objekt für sich zu erschließen, als wenn das Schiff in einer moderaten Wassertiefe auf dem Meeresgrund ruht.
„Unser“ Wrack ist in einer Tiefe von gut 40 Metern auf den sandigen Meeresgrund getroffen und aufrecht mit leichter Schlagseite stehen geblieben. Kleinlebewesen wie Schnecken, Würmer, Seesterne, Schlangensterne, Seeigel und Krebse finden Schutz und Nahrung an den - wenige Jahre später dicht mit Seenelken, Weichkorallen und Miesmuscheln bewachsenen - Aufbauten. Sie locken wiederum weitere Fische an, und während der berüchtigte Schiffsbohrwurm (eigentlich kein Wurm, sondern eine Muschel) fleißig alles Holz vertilgt, kann der Stahlrumpf in relativ gutem Zustand viele Jahrzehnte überstehen.
Hindernis für Berufsfischer
Nach und nach verlieren jedoch die Fischer ihre Netze an dem Unterwasserhindernis. Die Netzteile werden zur tödlichen Gefahr für die Bewohner des künstlichen Riffes. Oft werden Wracks, welche im Zweiten Weltkrieg oder davor gesunken sind, später bei Vermessungsarbeiten oder auch durch Zufall gefunden. Manchmal interessieren sich Archäologen dafür, zumeist aber lediglich Sporttaucher und Angler. Das Wrack stellt natürlich noch immer eine Zeitkapsel dar. In einigen Fällen lässt sich die genaue Untergangszeit an stehengebliebenen Uhren, die aus dem versunkenen Schiff geborgen werden, noch nach vielen Jahrzehnten ersehen. Hin und wieder finden Taucher im Inneren eines Wracks alten Wein oder Cognac, der teilweise erstklassig ist - durch die Lagerung bei konstant niedrigen Temperaturen und Dunkelheit über viele Jahrzehnte hinweg.
Leng, Dorsch, Seewolf & Co. interessieren sich weniger für Wein und Uhren. Sie ruhen und lauern in den Innenräumen und Aufbauten. Kleinere Fische, beispielsweise halbstarke Köhler, Dorsche und Pollacks, drehen in kleinen Schwärmen ihre Kreise um die Ladebäume und die Brücke.
Nach einer Weile ist die Wrackposition den Fischern bekannt. Im Laufe der Jahre haben sie so manches Netz hier verloren und auch Wrackteile in den stark beschädigten Schleppnetzen an die Oberfläche geholt. Die Position wird in den Seekarten vermerkt, wodurch Angler auf das Wrack aufmerksam werden. Gerade in Nord- und Ostsee, wo der Meeresgrund zumeist sandig und schlammig ist, haben Wracks eine geradezu magnetische Anziehungskraft auf Fische. Auch die Region in Wracknähe blüht manchmal geradezu auf, wird sie doch von den schweren Schleppnetzen verschont, wodurch Würmer und andere Bodentiere gedeihen können. Reiche Nahrung für Scholle, Flunder und Knurrhahn. Alles hängt miteinander zusammen, und wenn Kleinlebewesen überleben können, so sind die Großen meistens auch nicht fern.

Top Angelspot

Ein Wrack, das bisher noch nicht gezielt beangelt wurde, kann unheimlichen Fischreichtum beherbergen. Schwierig ist es, das Wrack erst einmal zu finden. Die Positionen in Seekarten sind oft zu ungenau. Aber GPS und Grafikecholot machen heute zu einem Kinderspiel, was vor einigen Jahrzehnten noch extrem teure Ausrüstung und gute Seemannschaft erforderte. Wracks ragen häufig deutlich vom glatten Meeresgrund auf und geben ein deutlich härteres Echo ab.
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Spot zu befischen. Am Gewöhnlichsten ist es, sich immer wieder über die Wrackposition driften zu lassen. Der Verlust von Ködern wird sich kaum vermeiden lassen. Befestigt man Beifänger und den Drilling am Pilker mit einem Stück dünner Schnur, so lässt sich zwar der Totalverlust häufig umgehen, den wirklich großen Fang verliert man aber möglicherweise auch hierbei.
Gezielter kann man das Wrack befischen, wenn man am Wrack ankert. Besser gesagt: im Wrack. Hierbei verwenden die meisten Leute Eigenkonstruktionen. Einfache Eisenhaken zusammengeschweißt biegen bei starkem Zug auf, ein Sinkergewicht (z.B. ein oder zwei Ziegelsteine) bringt den Eigenbauanker auf Tiefe.
Mit etwas Erfahrung und Ideenreichtum kann man jedenfalls an solchen Spots extrem erfolgreich fischen und wahre Monster aus ihrem Inneren an die Oberfläche befördern. Nicht vergessen sollte man dabei jedoch, dass auch ein Wrack nur eine bestimmte Anzahl dort ansässiger Fische beherbergt. Wurden also einige gute Conger, Seewölfe, Pollacks oder Lengs gefangen, so mag anschließend die Ausbeute für viele Wochen umso magerer sein.

Ökologische problematisch

Nicht verschweigen möchte ich an dieser Stelle auch die Tatsache, dass die meisten Taucher es vermeiden, an den Wracks Muscheln oder Krebse zu sammeln. Und das hat seinen guten Grund. Ausgetretenes Schweröl ist häufig im und um das Wrack zu finden; dazu kommen oft andere Giftstoffe. Besonders dramatisch können die Werte von Schwermetallen und anderen Giften an Kriegswracks sein. Kurz gesagt: Fische, die einen großen Teil ihres Lebens an solchen Plätzen verbracht haben, können möglicherweise überdurchschnittlich stark belastet sein!
Noch viele Jahrzehnte nach ihrem Untergang können Wracks schwere Schäden an der Umwelt anrichten. Häufig bleiben die Öltanks beim Untergang intakt und drohen erst mit fortschreitender Zersetzung des Stahls durch das aggressive Salzwasser diese Altlasten freizusetzen.
Manche Wracks aus dem Zweiten Weltkrieg lassen sich auch heute noch an ruhigen Tagen recht einfach lokalisieren: über ihrer Position steigen nämlich permanent Ölblasen auf und bilden an der Wasseroberfläche einen schmierigen Film.
Bergungsdienste müssen sich in manchen Fällen der Problematik annehmen, um Schlimmeres zu vermeiden. Zumeist wird versucht, das Öl abzupumpen. In einigen Fällen wurden auch schon Wracks einbetoniert, um die Giftstoffe im Schiff einzuschließen.

Streitthema

Manche Länder haben schon vor vielen Jahren damit begonnen, ausgemusterte Schiffe zu reinigen und zu versenken. Zumeist geschieht das aus wirtschaftlichen Interessen. Nämlich, um den Tauchtourismus anzukurbeln. Aber auch die ökologischen Aspekte ihrer Projekte sehen die Initiatoren in der Regel positiv. Die Resonanz aus Fachkreisen hierauf ist geteilt und das sicher auch nicht ganz unberechtigt. Es wird auch weiterhin Diejenigen geben, die überwiegend die Vorteile für die Natur sehen. Andere hingegen beobachten Verdrängungsprozesse bestimmter Arten und verweisen darauf, dass es sich letztlich schlicht und einfach immer um das Einbringen von Gegenständen in das Meer handeln wird, die dort einfach nicht hingehören.
 
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Schöner Bericht, danke :daumen:
 
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Sven mal was ganz anderes! Was braucht man, um bei Euch tauchen zu gehen?
 
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Gigantische Bilder... und ein klasse Bericht.
Ansonsten würde ich mich gerne mal hermi´s Frage anschließen ...
 
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Also, bei uns direkt eigentlich alles: Tauchschein und Ausrüstung (bis auf Flaschen und Blei).
Wir sind ja eher Expeditionsveranstalter, bzw. bieten Touren für Filmteams an - somit lohnt sich für uns weder Ausbildung, noch Ausrüstungsverleih.

Allerdings haben wir Freunde in der Tauchindustrie die uns ganz freundlich gesonnen sind, deshalb lässt sich beim Equipment auch ne Menge machen - genauer gesagt können wir fast alles zu einem Bruchteil des Listenpreises beziehen.

Schnuppertauchen kann man zwar auch mit überschaubarem Aufwand realisieren, jedoch sind die meisten dann so im Stress das sie von der Umgebung nichts mitbekommen :}

Gruß Sven
 
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Schöner Bericht mit vilen Infos und schönen Bilder

Boris sagt

D A N K E

PS.: Bitte weiter so !
 
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Sehr angenehm zu lesender Schreibstil, danke schön Sven:]

Die Bilder sind auch fein!

Frage: Wenn die Angler es aber mit dem "Abreissen" übertreiben (siehe vor Rügen teilweise), dann flattert da irgendwann reichlich Geflochtene durch das Wasser! Ist das für Euch Taucher gefährlich? Oder gleitet man da so durch?
 
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Angelschnüre können unangenehm sein. Ich war schon in einigen vertüdelt, ein gutes Messer hilft. Stimmt schon das z.B. vor Fehmarn mal locker bei einem Tauchgang 150-200 Pilker eigesammelt werden können.
Schön ist das natürlich nicht, aber für die Tierwelt sind eigentlich abgerissene Netze viel fataler. Das Foto unten zeigt einen verendeten Dornhai in einem Netz das am Wrack des Zersörers Hermann Künne in Narvik hängt. Im Kattegat und Skagerrak sind die Wracks voll mit Schleppnetzen und Stellnetzen - was da über Jahre an Taschenkrebsen und Fischen verendet ist unbeschreiblich!

Die Netze können natürlich auch für Taucher gefährlich sein, besonders bei schlechter Sicht und Strömung. Gute Messer und Line Cutter sind dann Pflicht.

Greetz
 
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Hallo Sven,

was du uns hier praesentierst und mit Fotos belegst ist allererste Sahne,ich wuenschte mir nur ein Bruchteil solcher beeindruckenden Infos zu besitzen. :daumen:
Mache weiter so,es ist unheimlich interessant! /@
 
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Klasse Bilder :]:daumen::daumen::daumen:
 
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sehr schön geschrieben, klasse fotos - danke dafür!! :daumen:

gruß
danny
 
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Ich bin jedes mal von neuem begeistert...
Einfach genial.

Sven, Deine Berichte sind eine Bereicherung für´s NAF

Danke :daumen::daumen::daumen:

Gruß
Andreas
 
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