Die Wüste lebt

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Nordlicht
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Utvorda/Flatanger (N-Trøndelag)
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Die Wüste lebt!

1953 drehten die Walt Disney Studios die Dokumentation mit dem Titel „Die Wüste lebt“, welche zu einem Welterfolg wurde und zeigte, dass in vermeintlich Lebensfeindlichen Sandwüsten durchaus Leben herrscht. Was auf den ersten Blick öde und karg wirken mag ist ein Ökosystem in dem zahlreiche Tiere und Pflanzen sich den extremen Bedingungen angepasst haben.
Ähnliches gilt auch für die Wüsten der Meere, denn Sandbänke und Kieshalden bieten wenig Schutz und Versteckmöglichkeiten. Unterwasserfotograf Sven Gust hat hier eine ganze Reihe von Tarnkünstlern ausfindig gemacht und abgelichtet.


Zuerst ist es mehr eine Ahnung als das wirklich etwas zu erkennen wäre. Doch je näher ich dem verdächtigen Fleck komme, umso sicherer bin ich mir das etwas zu finden ist. Auf dem hellen Sandboden hat sich rundherum auch etwas dunkleres Sediment abgelagert. Nicht so jedoch an diesem Platz. Ein Platzfisch hat sich hier eingegraben um sich vor seinen Fressfeinden zu verbergen und vielleicht auch seinerseits eine unvorsichtige Grundel oder Garnele zu erbeuten.
Die beinahe kreisrunde Form lässt vermuten, dass es sich um einen Steinbutt handelt - ein Exemplar von etwa 60 Zentimetern Länge.
Die wachsamen Augen beobachten mich als ich die Kamera in Position bringe und die Blitze mehrfach zucken. Als ich schon beginne mich zurückzuziehen wird es dem Platten dann doch zu bunt. In einer Staubwolke erhebt er sich und beginnt davonzusegeln. Einige Nordseegarnelen und Sandgrundeln flitzen erschrocken davon. Ich begleite in kurz und mache noch einige weitere Aufnahmen. Kurz darauf schwimme ich wieder in den Flachwasserbereich und marschiere weitere hundert Meter im hüfttiefen Wasser bis ich den Strand erreiche. Der Fehmarnsund hat trotz der ausgedehnten Sandflächen manch Spannendes zu bieten – eigentlich müsste man aber sagen: Gerade der Sandboden ist es, der Plattfische lockt!
Wir reisen ein Stück weiter gen Norden und tauchen vor der Insel Anholt ab. Hier im Kattegat zwischen Dänemark und Schweden finden sich ebenfalls ausgedehnte Sandflächen. Dank des höheren Salzgehaltes konnten auch andere Fischarten sich dieses Gebiet erobern. Unser Tauchgang vor der Hafenmole der Insel beginnt erst einige Stunden nach Einbruch der Dunkelheit – dann wenn nicht nur die Tarnkünstler vom Tage, sondern auch nächtliche Besucher in der vermeintlich monotonen Sandlandschaft auf Nahrungssuche sind. Zahlreiche Petermännchen, die sich tagsüber eingegraben hatten sind nun auf Tour. Die schlanken Fische sind mit Vorsicht zu genießen, denn Rückenflosse und Kiemendeckel sind mit Giftstacheln gespickt – und ihr Gift ähnelt dem der Kreuzotter und hat es durchaus in sich!
Einige Aal schlängeln sich über den Sand und wühlen mit dem Kopf hier und da im Boden herum auf der Suche nach Borstenwürmern, Krebstierchen und kleinen Fischen. Die Aale haben sich sicherlich tagsüber zwischen den Felsbrocken der Hafenmole versteckt gehalten um Robben und Kormoranen zu entgehen und kommen nun im Schutze der Dunkelheit aus ihren Verstecken. Scholle, Flunder und Kliesche sind ebenfalls alle paar Meter anzutreffen. Sie haben sich, ganz plattfischtypisch, am Tage eingegraben und reglos verharrt bis es wieder dunkel wurde.
Die Wassertiefe beträgt kaum mehr als fünf Meter und es wimmelt geradezu von Leben. Offensichtlich ist es gerade der Sandboden, welcher ein außerordentlich gutes Nahrungspotenzial für mache Fischarten bietet!
Im Schein der starken Tauchlampe huscht etwas Silbernes dich an meinem Kopf vorbei. Als ich mich umblicke kann ich erkennen, dass es eine Meerforelle ist. In einem wilden Zickzack-Kurs verschwindet sie aus dem Lichtkegel. Sie scheint nicht zu den Fischen zu gehören die sich nachts speziell wohl fühlen und wirkt eher als wenn sie auf der Flucht ist als auf Nahrungssuche.
Der skurrilste Fisch der Nacht ist aber wohl der Steinpicker. Der Köper ist mit Panzerplatten bedeckt. Das was dem Fisch am Schwanzende fehlt hat er am Kopfende wiederum zu viel. Unter dem Maul des Bodenfisches sind zahllose Barteln zu erkennen. Der wirklich merkwürde Verwandte der Seeskorpione zeigt keine Scheu und lässt sich bei seiner Futtersuche nicht aus dem Konzept bringen.
Wieder geht es weiter in den Norden. Dieses Mal findet der Tauchgang wieder am helllichten Tage in der Nähe von Stavanger statt. Etwa 50 Kilogramm Tauch- und Kameraausrüstung wollen zunächst einmal sicher zum Strand gebracht werden. Mancher Stein ist hier in der Wellenzone von der Brandung freigespült worden und mit einem dicken Teppich aus glitschigem Blasentang bewachsen. Fiese Stolperfallen, wenn man so dick in einen warmen Trockentauchanzug eingepackt ist und allein einen halben Zentner Stahl und Blei auf dem Buckel hat.
Doch kurz darauf erlöst die Schwerelosigkeit des nassen Elementes von der Schlepperei und ich tauche über einen sanft abfallenden Sandrutsch in die Tiefe. Zunächst begegnen mir einige kleinere Sternrochen, die ich jedoch zunächst nicht weiter beachte, sondern mir für den Rückweg aufhebe. denn zunächst will ich etwas tiefer hinab. Hunderte Einsiedlerkrebse flüchten vor dem merkwürdigen Monster, das da mit lautem blubbern über sie hinweg gleitet. Zylinderanemonen ziehen sich blitzschnell in den Sand zurück. Hier und dort geht ein Taschenkrebs in Abwehrposition.
Bald lasse ich die 30-Meter-Marke hinter mir und beginne damit den Sinkflug zu verlangsamen. In 40 Metern stoppe ich und beginne den Sandboden nach Leben abzusuchen. Verschiedene Seesterne fallen sofort ins Auge, aber mich interessieren mehr die Tarnkünstler, die wesentlich schwieriger aufzuspüren sind. Einige Kammmuscheln sind auch hier und da zu finden. Sie schließen sich zügig wenn sie eine Bewegung wahrnehmen, mache flüchten sich sogar schwimmenderweise.
Ein Grauer Knurrhahn marschiert geradezu über den Boden. Unter den Brustflossen befinden sich einige Flossenstrahlen, mit denen er den Boden nach Fressbarem abtastet und dich sich offenbar auch erstklassig zur Fortbewegung einsetzen lassen.
Dann finde ich wonach ich gesucht habe: Eine der Kammmuscheln sieht etwas merkwürdig aus und bei genauerem Hinsehen entpuppt sich die Muschel als Brustflosse von einem stattlichen Seeteufel. Es ist nicht der erste Anglerfisch den ich tatsächlich erst anhand solch einer Muschelverwechslung entdecke. Farblich ist er so perfekt an die Umgebung angepasst und seine Umrisse verschmelzen dank zahlloser kleiner Hautfransen dermaßen gut mit der Umgebung das er für mich der absolute König der Tarnkünstler ist. Jeder Beutefisch der sich seinem Versteck unvorsichtig nähert und im nächsten Moment auch schon in dem riesigen Schlund verschwindet hat mein vollstes Verständnis! Ich würde die Gefahr sicherlich auch nicht rechtzeitig bemerken wenn ich Fisch wäre.
Geduldig lässt der Seeteufel das Blitzlichtgewitter über sich ergehen und vertraut voll auf seine Tarnung – er weiß offenbar wie gut er ist!
Ich mache mich langsam auf den Rückweg als sich meine Nullzeit, also die wenigen Minuten Zeit die ich in dieser Tiefe habe bevor ich bei meinem Aufstieg Dekompressionsstopps einlegen muss. Diese Unterbrechungen beim Aufstieg sind Notwendig um den Stickstoff, der sich unter dem erhöhten Druck in Blut und den Köpergeweben löst wieder langsam abzuatmen. Verbringt man lange Zeit auf in Tiefen jenseits der 30-Meter-Marke und steigt dann schnell auf, fängt das Blut regelrecht an zu schäumen und schwere Schäden, oder sogar der Tod sind die Folge.
Diese Tatsache ist auch der Grund dafür das ich mit die Sternrochen nun für den Aufstieg aufgespart haben, denn nun habe ich alle Zeit der Welt mich mit ihnen in gerade mal fünf Metern Wassertiefe zu beschäftigen während ich automatisch einen Sicherheitsstopp absolviere bevor ich wieder zur Wasseroberfläche auftauche.
Auch die Rochen werden Opfer eines Blitzlichtgewitters, was sie jedoch recht wenig zu interessieren scheint, denn an eine Flucht denken sie offenbar gar nicht. Besonders faszinieren mich die Augen, welche im oberen Bereich mit einem ausgefransten Hautlappen bedeckt sind. Als ich mich den Fischen nun auf wenige Zentimeter nähere um dieses Detail bildfüllend abzulichten wird die ganze Sache den etwa 40 Zentimeter langen Rochen doch zu blöd und sie huschen wiederwillig davon – natürlich immer genau in dem Moment wenn ich den Auslöser drücken will. Dennoch gelingen einige Aufnahmen und ich beende den Tauchgang zufrieden.
Sandboden – alles andere als öde und Artenarm. Die wenigen Beispiele hier geben nur einen kleinen Einblick was sich auf den Sandbänken der nordischen Meere abspielt und dabei haben wir uns noch nicht einmal mit den Markro- und Mikroorganismen beschäftigt!
Sie sind es eigentlich die größere Räuber locken und die Lebensgrundlage darstellen. Würmer, die den Boden nach Nahrung durchgraben, Schnecken, Krebse, Garnelen, Haarsterne, Muscheln, kleine Kopffüßer (Tintenfische) und viele andere Winzlinge suchen in Sand und Sediment nach noch kleinerer Beute und werden ihrerseits zu Gejagten.
Kleine Dramen spielen sich Tag und Nacht auf den Sandflächen ab und vom kleinen Sandaal bis hin zum meterlangen Heilbutt nehmen unzählige Räuber daran teil – die Unterwasserwüste lebt also zweifellos!
 

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AW: Die Wüste lebt

Wow.. Danke für den Bericht, echt lesens- und sehenswert!
 
AW: Die Wüste lebt

Moin Moin Sven.
Vielen Dank für den schönen Bericht. Die Zeilen habe ich sehr interessiert gelesen und würde mich freuen hier öfter von deinen Erlebnissen lesen zu dürfen. Tauchen muss wirklich ein tolles Hobby sein.
Gruß Carsten
 
AW: Die Wüste lebt

hallo Sven, vielen Dank- da haste für uns einen feinen Bericht gemacht, über Wasser entgeht uns schon sehr viel von den Geschehnissen im wunderbaren Fischland unter Wasser, und mit deinen Bilder zeigst du uns auch ein bißchen von der Schönheit da unten. Nochmals Danke von Maisel
 
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